Neulich gab es eine Neuinszenierung von „Pünktchen und Anton“ im Münchner Residenztheater – das wollten, nein, mußten wir uns ansehen! Uns paßte nur Mittwoch 10 Uhr, eine ver-dächtig frühe Zeit. Unsere Ahnung trügt uns nicht: Als wir eintreffen, wimmelt das Theater nur so von Kindern zwischen acht und zehn Jahren. Auf den Garderobentischen sich türmend, an den Foyerwänden aufgestapelt verwandeln Berge bunter Jacken und Taschen das Theater in ein riesiges Warenlager aktueller Kindermode: orange, giftgrün, signalrot, knallblau, harle-kinartig gewürfelt, gestreift, gepunktet. Der zum Überlaufen volle Zuschauerraum kocht. Aber die zahlreich vorhandenen Lehrerinnen (unter ihnen sogar einige Männer) sowie das offensichtlich stark vermehrte Aufsichtspersonal (pro Türe ein „Logenschließer“) haben diese aus vollen Kehlen schreiende Kindermasse doch einigermaßen im Griff. Wir haben zwei Plätze am Rand bekommen, damit wir kein Sehhindernis bilden und sehen dem Beginn etwas bange entgegen. Aber als sich der Vorhang hebt, legt sich der Kinderlärm erstaunlich schnell. Theater macht eben immer noch neugierig - alle warten gespannt auf das, was nun kommen wird.

Die Kinder im Zuschauerraum verfolgen das Geschehen erstaunlich diszipliniert, ja fasziniert, obwohl die Schauspieler oft ziemlich leise sprechen. Die heutzutage unvermeidlichen Gesangseinlagen, aus einer Mischung von Brecht und moderner Schlagermusik zusammengerührt und mit moralischen „Nachdenkereien“ à la Kästner angereichert, gefallen zu meiner Verwunderung allgemein. Neben meiner Frau sitzt ein winziges Pummelchen aus Mazedonien, das wie gebannt zur Bühne schaut. Sie sei erst vor ein paar Wochen nach Deutschland gekommen, erklärt uns die Lehrerin, und kann daher kaum etwas verstehen. Das scheint die Faszination jedoch kaum zu mindern. An den Reaktionen der anderen Kinder merkt man, daß sie ebenfalls ganz bei der Sache sind. Als in einer der Szenen Herr Pogge Anton ein paar Hundert-Euro-Scheine hinhält, geht ein bewunderndes Raunen durch den Saal. Als Anton in einer Anwandlung falschen Stolzes das Geld ablehnt, stößt das auf Unverständnis. Einige Kinder schreien daraufhin: „Mir! Mir!“ und winken, Herr Pogge möchte doch ihnen die Scheine geben, wenn der dumme Anton sie nicht will. Leider hört Herr Pogge nicht auf dem Ohr. Aber als später Pünktchen und Anton sich endlich einen zarten Kuß geben, jauchzen alle Kinder und applaudieren.
Sehr gelungen ist das Bühnenbild. Die verschiedenen Spielräume sind realistisch ausgestaltet, aber nicht überladen. Birkmeier hat begriffen, daß man wenigstens den Kindern die Freude am Schauen nicht verderben darf, wie sonst heutzutage den Erwachsenen in vielen Inszenierungen. Während die Drehbühne für die nächste Szene in Bewegung ist, wird das Panorama einer nächtlichen Großstadt à la New York mit seinen vielen bunten Lichtern sehr effektvoll darüber projiziert.
Ich halte Bearbeitung wie Inszenierung alles in allem für sehr gelungen. Erstaunlich bleibt, daß trotz der zahlreichen Änderungen Kästners Vorlage noch recht gut erkennbar ist. Nach meiner Ansicht ist das Stück viel besser als der überreichlich mit angeblich zeitgemäßem krampfhaften Aktionismus aufgegossene Film von Caroline Link.
Andreas Bode