Mittwoch, 24. April 2013

Pünktchen und Anton im Theater


Neulich gab es eine Neuinszenierung von „Pünktchen und Anton“ im Münchner Residenztheater – das wollten, nein, mußten wir uns ansehen! Uns paßte nur Mittwoch 10 Uhr, eine ver-dächtig frühe Zeit. Unsere Ahnung trügt uns nicht: Als wir eintreffen, wimmelt das Theater nur so von Kindern zwischen acht und zehn Jahren. Auf den Garderobentischen sich türmend, an den Foyerwänden aufgestapelt verwandeln Berge bunter Jacken und Taschen das Theater in ein riesiges Warenlager aktueller Kindermode: orange, giftgrün, signalrot, knallblau, harle-kinartig gewürfelt, gestreift, gepunktet. Der zum Überlaufen volle Zuschauerraum kocht. Aber die zahlreich vorhandenen Lehrerinnen (unter ihnen sogar einige Männer) sowie das offensichtlich stark vermehrte Aufsichtspersonal (pro Türe ein „Logenschließer“) haben diese aus vollen Kehlen schreiende Kindermasse doch einigermaßen im Griff. Wir haben zwei Plätze am Rand bekommen, damit wir kein Sehhindernis bilden und sehen dem Beginn etwas bange entgegen. Aber als sich der Vorhang hebt, legt sich der Kinderlärm erstaunlich schnell. Theater macht eben immer noch neugierig - alle warten gespannt auf das, was nun kommen wird.

Die erste Szene spielt in der Poggeschen Wohnung. Ein abstraktes Bild an der Wand dient als Statussymbol. Pünktchen ist ein aufgekratztes Gör von ungefähr fünfundzwanzig Jahren. Die deutsch radebrechende Köchin ist Italienerin, wird aber trotzdem Berta genannt. Fräulein Andacht führt ein verliebtes Gespräch mit ihrem Robert, per Mobiltelephon natürlich. Dieses Detail und viele andere signalisieren, daß der Regisseur weiß, was er der heutigen Zeit und seinem Publikum schuldig ist. Er heißt Thomas Birkmeir und wurde vom Wiener Theater der Jugend ausgeliehen. Auch für die zeitgemäße Umarbeitung von Kästners Roman zum Theaterstück ist er verantwortlich. Pogge ist heutzutage natürlich kein altmodischer Fabrikdirektor, sondern Supermarktbesitzer. Seine Frau beschäftigt sich nicht mit Migräne, sondern hat für die Familie keine Zeit, weil sie sich in der Afrikahilfe engagiert, indem sie als Gesellschafts-löwin Geld für die armen Negerkinder sammelt (so heißen die bei Birkmeir natürlich nicht, sonst bekäme er gleich sämtliche Furien der „political correctness“ auf den Hals). Klepperbein ist Anführer einer Bande von Lausejungen, die sich zur Aufbesserung des Taschengelds auf kleine Erpressungen verlegt haben. Als sie Anton zusammenschlagen, weil er nicht zahlen kann, rettet ihn Pünktchen, übrigens sehr lebendig, aber nicht übertrieben gespielt von Friederike Ott. Er gefällt ihr, und sie zeigt das ganz offen. Anton jedoch (sehr einfühlsam: Franz Pätzold) benimmt sich zuerst kratzbürstig, weil er sich schämt, daß er leere Flaschen zum Verkaufen sammelt und Nahrungsmittel aus dem Müll der Supermärkte klaubt. Aber er erliegt doch zur Freude des Publikums recht schnell Pünktchens Charme. Anton muß nicht nur für die kranke Mutter und für sich kochen, sondern spart auch heimlich Geld für eine Erholungsreise, die der Mutter helfen soll. Zwar ist diese Mutter nicht so egoistisch dargestellt, wie bei Kästner – die fast sadistisch zu nennende Quälerei Antons wegen ihres vergessenen Geburtstages kommt nicht vor. Dafür will sie, als Pünktchen Anton besucht, mit der Selbstgerechtigkeit ihres proletarischen Bewußtseins dem Kapitalistenkind die Tür weisen. Pünktchen bleibt ihr im Wortgefecht nichts schuldig, und so besinnen sich alle plötzlich und wiederholen die Begegnung unter friedlichen Vorzeichen.

Die Kinder im Zuschauerraum verfolgen das Geschehen erstaunlich diszipliniert, ja fasziniert, obwohl die Schauspieler oft ziemlich leise sprechen. Die heutzutage unvermeidlichen Gesangseinlagen, aus einer Mischung von Brecht und moderner Schlagermusik zusammengerührt und mit moralischen „Nachdenkereien“ à la Kästner angereichert, gefallen zu meiner Verwunderung allgemein. Neben meiner Frau sitzt ein winziges Pummelchen aus Mazedonien, das wie gebannt zur Bühne schaut. Sie sei erst vor ein paar Wochen nach Deutschland gekommen, erklärt uns die Lehrerin, und kann daher kaum etwas verstehen. Das scheint die Faszination jedoch kaum zu mindern. An den Reaktionen der anderen Kinder merkt man, daß sie ebenfalls ganz bei der Sache sind. Als in einer der Szenen Herr Pogge Anton ein paar Hundert-Euro-Scheine hinhält, geht ein bewunderndes Raunen durch den Saal. Als Anton in einer Anwandlung falschen Stolzes das Geld ablehnt, stößt das auf Unverständnis. Einige Kinder schreien daraufhin: „Mir! Mir!“ und winken, Herr Pogge möchte doch ihnen die Scheine geben, wenn der dumme Anton sie nicht will. Leider hört Herr Pogge nicht auf dem Ohr. Aber als später Pünktchen und Anton sich endlich einen zarten Kuß geben, jauchzen alle Kinder und applaudieren.

Sehr gelungen ist das Bühnenbild. Die verschiedenen Spielräume sind realistisch ausgestaltet, aber nicht überladen. Birkmeier hat begriffen, daß man wenigstens den Kindern die Freude am Schauen nicht verderben darf, wie sonst heutzutage den Erwachsenen in vielen Inszenierungen. Während die Drehbühne für die nächste Szene in Bewegung ist, wird das Panorama einer nächtlichen Großstadt à la New York mit seinen vielen bunten Lichtern sehr effektvoll darüber projiziert.

Ich halte Bearbeitung wie Inszenierung alles in allem für sehr gelungen. Erstaunlich bleibt, daß trotz der zahlreichen Änderungen Kästners Vorlage noch recht gut erkennbar ist. Nach meiner Ansicht ist das Stück viel besser als der überreichlich mit angeblich zeitgemäßem krampfhaften Aktionismus aufgegossene Film von Caroline Link.

Andreas Bode

Montag, 22. April 2013

Theaterstück von Erich Kästner wird uraufgeführt

Späte Entdeckung: 86 Jahre nach der Entstehung wird ein Theaterstück von Erich Kästner (1899-1974) im November in Dresden uraufgeführt.


Das Weihnachtsmärchen „Klaus im Schrank“ von 1927 hatte der Autor damals verschiedenen Verlagen angeboten, aber eine Ablehnung erhalten, sagte der Intendant des Dresdner Schauspielhauses, Wilfried Schulz, bei der Vorstellung der neuen Saison. Man habe das Stück in den Verlagen zwar als „heiter und originell“ bezeichnet, aber auch als „etwas modern“.

Das Stück galt lange als verschollen und tauchte später im Nachlass einer Sekretärin Kästners auf. Für die neue Saison kündigte das Staatsschauspiel 24 Premieren an, darunter mehrere Uraufführungen.

http://www.focus.de/kultur/kunst/theater-theaterstueck-von-erich-kaestner-wird-uraufgefuehrt_aid_964279.html

Dienstag, 16. April 2013

Erich Kästner Museum: Auf einen Sprung nach Rußland - Travelling Micromuseum Exhibition in Omsk eröffnet


Am vergangenen Wochenende eröffnete der Erfinder und Leiter des Erich Kästner Museums, Ruairí O'Brien, gemeinsam mit dem Direktor der Staatlichen Alexander Puschkin Bibliothek in Omsk die internationale Wanderausstellung "Travelling Micromuseum Exhibition". Die umfangreiche Präsentation, die bereits in Tokyo, Salzburg und London zu sehen war, zeigt bis Ende Mai in der sibirischen Metropole Dokumente, Fotos, Bücher und Literaturobjekte rund um den auch in Rußland sehr beliebten Schriftsteller Erich Kästner.

Das Besondere an dieser Ausstellung ist, wie auch im Erich Kästner Museum selbst, die Art der Präsentation. Die Exponate sind in sechs verschiedenen, farblich und thematisch unterschiedlichen flexiblen Modulen untergebracht, die zum Stöbern und Entdecken einladen.




Mit dem Titel „Auf einen Sprung nach Rußland“ nimmt die Ausstellung ganz besonders Bezug zu Erich Kästners Rußlandreise im Jahr 1930 sowie auf seine Rezensionen russischer Autoren und Filme. Viele dieser Rezensionen und Reisedokumente werden erstmals in Rußland gezeigt.

Auf Einladung der Staatlichen Dostojevskij Universität hielt O'Brien museologische Vorträge und Design-Workshops; eine Zusammenarbeit mit dem gleichnamigen Museum wurde aufgenommen.

Das gesamte Projekt konnte in Zusammenarbeit zwischen dem Erich Kästner Museum Dresden, den Goethe Instituten Novosibirsk und Moskau sowie dem DAAD Büro in Omsk realisiert werden und findet im Rahmen des Deutschlandjahres in Rußland statt.

Weitere Informationen:

Erich kästner Museum Dresden

Tel: 00 49 - 351 – 804 50 87
www.erich-kaestner-museum.de

Nachstehend der link zur Eröffnungs-Pressekonferenz in Omsk:

http://www.lib.okno.ru/news/news/пресс-конференция_Kestner/index.asp

Dienstag, 9. April 2013

Das Erich Kästner-Gedicht, "bei Durchsicht seiner Bücher" gefunden:

Zehnter Beitrag von Peter Weiler

Veraltete Konflikte


Hätte Erich Kästner das digitale Zeitalter auch nur erahnt,

dann wäre manches Gedicht so nicht entstanden.

Ein unentschlossener Kellner wird heute abgemahnt,

und die Stühle hätten auch bei Regen draußen gestanden.

Auch die Pärchen nehmen die Gefühle heut‘ nicht so strenge:

Wo Platz ist, da ist auch Liebe, selbst im Gedränge.

Dies ständige Hin und Her, dies „ob…“ oder „Ob nicht…“,

das konnte den Dichter noch zum Schreiben inspirieren.

Wer heute nicht sofort entscheidet, der würde sich blamieren.

So bleiben dem Pärchen und auch dem Ober keine Wahl:

Die „atmosphärischen Konflikte“ sind ihnen egal.



Das Gedicht, auf das sich dieser Hinweis bezieht,

erschien 1928 in Erich Kästners erstem Gedichtband,

allerdings (nach Zonneveld) erst in der 2. Auflage.

Es darf jedoch wegen des Urheberrechts hier

nicht einfach im Originaltext abgedruckt werden.

Sie finden es aber im Gedichtband

„Herz auf Taille“

z.B. in der dtv-Ausgabe (Band 11003) von 1999 (6. Auflage)

und dort auf Seite 110.



Peter Weiler